2024: Politik und Religion
Viola Raheb
Referentin für Wissenschaftskommunikation und Projekte -Stiftung, PRO ORIENTE, Wien
Politik und Religion teilen eine lange gemeinsame Geschichte und stehen in einem Beziehungs-, Spannungs- und Abhängigkeitsverhältnis. Set jeher kommt es zu einer gegenseitigen Einflussnahme. Die Beziehung zwischen Politik und Religion ist jedoch nicht nur in der Empirie zu beobachten, sondern auch Gegenstand vieler theoretischer Überlegungen. So beschreibt Charles Taylor in A Secular Age das philosophische und moralische Terrain der modernen Welt als eine Kollision zwischen drei großen Lagern: (1) säkularen oder „exklusiven Humanisten“, (2) postmodernen oder „neo-Nietzscheanischen“ Anti-Humanisten und (3) „Anhängern der Transzendenz“. Laut Taylor verbünden sich zwei Parteien immer „in einer wichtigen Frage gegen die dritte“. Exklusive Humanisten – die das Projekt der Aufklärung fortsetzen, eine Politik und Ethik in einem völlig entzauberten oder immanenten Rahmen voranzutreiben – sind mit den Neo-Nietzscheanern in ihrer Opposition gegen religiöse Denkweisen und in ihrem Ziel vereint, die Gesellschaft „von der Illusion eines Gutes jenseits des Lebens“ zu befreien und Ideen der Transzendenz „auf den Status einer vergangenen Illusion“ zu verweisen. Es zeigt sich jedoch, dass das „Lager der Ungläubigen“ tief gespalten ist – über das Wesen des Humanismus und, noch radikaler, über seinen Wert“. Die Anti-Humanisten (die nach Taylors Ansicht im vergangenen Jahrhundert einen stärkeren Einfluss auf Geschichte und Kultur ausgeübt haben, als vielen bewusst ist) haben eine „immanente Gegenaufklärung“ an liberalen Auffassungen von der Natur des Menschen und seinen Rechten geübt, die sie als unterdrückerische Formen des Essentialismus und Masken für reine Machtziele bezeichnen. Hinzu kommt, dass sich die Beziehung zwischen Politik und Religion auch stetig weiterentwickelt und neugestaltet, wie José Casanovas jüngste Forschungen zeigen. Sie beschäftigen sich mit Globalisierung und Religion sowie die Dynamik der transnationalen Religion, der Migration und der zunehmenden ethnisch-religiösen und kulturellen Vielfalt. Seine Forschung zu Religion und Globalisierung hat eine ehrgeizige vergleichende Perspektive eingenommen, die Katholizismus, Pfingstbewegung und Islam umfasst. Auch Emilio Gentile sieht ganz klar die Verwobenheit von Politik und Religion. Er vertritt die Auffassung, dass die Politik in den letzten zwei Jahrhunderten oft die Züge einer Religion angenommen hat und für sich das Vorrecht beansprucht, den grundlegenden Zweck und Sinn des menschlichen Lebens zu definieren. Weltliche politische Gebilde wie die Nation, der Staat, die Rasse, die Klasse und die Partei wurden zum Mittelpunkt von Mythen, Ritualen und Geboten und allmählich zu Objekten des Glaubens, der Loyalität und der Verehrung.
Wie sich zeigt, ist das Thema Politik und Religion nicht nur von großer Aktualität, sondern umfasst auch verschiedenste Bereiche, von Sicherheitspolitik über Staatstheorie bis zu gesellschaftspolitischen Themen. Im Rahmen von Gesprächen mit Expert*innen können im Bruno Kreisky Forum diese Aspekte besprochen und einem interessierten Publikum nähergebracht werden.